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Durch das massenhafte Erscheinen von Warez in der Szene hat sich mit der Zeit ein bestimmter Verbreitungsweg etabliert.
Waren in den 80er Jahren noch die Boards die Umschlagplätze der Szene, erfolgt die Verbreitung neuer Releases innerhalb der heutigen Szene über sogenannte FTP-Server. Auf diesen leistungsstarken Computern, die vom heimischen Rechner aus mit Daten gefüllt werden, findet der szeneinterne Tausch von Warez statt. Innerhalb der Szene existiert eine Vielzahl solcher FTP-Server, die in der Szene auch Sites genannt werden. Sie sind mit Passwörtern geschützt und der Zugang zu ihnen ist auf ein Minimum von Mitgliedern beschränkt. Große Sites erhalten die neusten Releases zumeist sofort nach ihrer Veröffentlichung. Der Zugang zu ihnen ist daher am begehrtesten. Kleinere Server erhalten die Warez erst einige Zeit später.
Sobald eine Release Group beispielsweise ein neues Spiel gecrackt hat, legt sie die erstellte Kopie auf einem oder mehreren dieser FTP-Server ab. Sites, auf denen eine Release Group ihre Warez erstveröffentlicht, werden in der Szene als HQ (Headquarter) bezeichnet. Daneben veröffentlichen sie ihre Warez oft auch auf Servern, die von anderen Szenemitgliedern betrieben werden. Dies soll gewährleisten, dass ihre Releases zügig in der gesamten Szene verbreitet werden können. Auch Gruppen, die sich den Betrieb eigener FTP-Server finanziell nicht leisten können, wird Speicherplatz von befreundeten Groups oder Szenemitgliedern zur Verfügung gestellt. Diese Art der Kooperation, in der Szene Affil genannt (vom englischen „affiliate“ für: „Partnerschaft“), bietet beiden Seiten Vorteile.
Zum einen müssen kleinere Release Groups keinen eigenen Server mehr anschaffen. Des weiteren ist die Verbreitung der Releases besser gesichert, wenn sie der Szene auf mehreren Sites zur Verfügung stehen. Zum anderen profitieren auch die Betreiber der FTP-Server, in der Szene Site Ops (Site Operators) genannt. Können sie eine Release Group als Affil gewinnen, steigert dies das Ansehen ihres Servers. Nun können alle Releases ihrer Partnergruppen zuerst auf ihrer Site veröffentlicht werden.
Von hier aus werden die Releases von bestimmten Szenemitgliedern, Courier oder Trader genannt, weiterverbreitet. Diese haben die Aufgabe, die Dateien von einem FTP-Server der Szene zum anderen zu kopieren. Auch wenn diese Tätigkeit nicht besonders anspruchsvoll erscheint, ist sie unerlässlich für die Szene. Wenn sich nicht genug Courier fänden, die die Aufgabe des Spreadings übernähmen, könnte die Verbreitung der Warez nicht mehr flächendeckend erfolgen. Ein neues Release würde vielleicht noch auf einige Sites verteilt werden, dann aber schnell ins Stocken geraten. Genauso wie eine Zeitung auf ihre Austräger angewiesen ist, benötigt die Szene die Courier.
Um eine reibungslose Verteilung der Kopien zu gewährleisten, hat die Szene es verstanden, sich von den Launen ihrer Mitglieder unabhängig zu machen. Das alte Prinzip des Ratio hat noch immer Gültigkeit. Bereits in den Boards der Crackerszene konnten die Mitglieder die Warez nicht einfach leechen (downloaden). Sie mussten zunächst eine gewisse Menge an Daten auf das Board uppen (uploaden). Entstanden war dieses Ratio-System ursprünglich aufgrund der begrenzten Kapazität früherer Boards, als Telefonleitungen noch knapp waren. Obwohl die heutigen Ressourcen des Internets eine solche Regelung überflüssig machen, ist die Szene weiterhin vom Gedanken der aktiven Beteiligung geprägt. Das Ratio-Prinzip ist bis heute in allen Warez-Subkulturen zu finden. Nur wer etwas gibt, darf auch etwas nehmen.
Für jede neue Kopie, die ein Szenemitglied auf eine Site hochlädt, erhält er eine bestimmte Menge an Credits gutgeschrieben. Die Anzahl ist abhängig von der Größe der übertragenen Datei. Die Credits sind die offizielle Währung der Release-Szene. Im Austausch für diese Credits kann ein Mitglied Dateien von den FTP-Servern holen. Das Angebot reicht von Spielen, Filmen und Musik bis hin zu Textdokumenten, Bildern und vielem mehr.
Dabei kommt der Release-Szene zugute, dass Dateien nicht mehr zuerst auf dem eigenen Rechner zwischengelagert werden müssen, um sie dann erneut auf andere FTP-Server zu übertragen. Oft lassen sie sich auch direkt von einer Site zu einer anderen kopieren. Da die Übertragungsgeschwindigkeiten der Server untereinander sehr hoch sind, können innerhalb weniger Sekunden große Mengen an Daten von einem FTP-Server zum anderen kopiert werden. Überträgt man beispielsweise ein Computerspiel von seiner eigenen Festplatte auf einen Server, kann das zum Teil Stunden dauern. Das Kopieren des gleichen Spiels von einer Site zur anderen dauert dagegen nur wenige Augenblicke. Diese Art des Kopierens wird in der Szene flashen genannt.
Von Zeit zu Zeit betätigt sich fast jedes Szenemitglied als Courier. Sei es, weil sich sein Credit-Konto auf Null zubewegt, oder auch einfach nur um sich die Zeit zu vertreiben. Die meisten in der Szene bekannten Courier gehen in ihrer Rolle vollends auf und betreiben ihre Aufgabe mit großem Enthusiasmus. Schon in der Board-Ära stellte das Hochladen von Dateien auf die Systeme der Szene einen ganz eigenen Wettstreit dar. Genauso wie die Release Groups um eine Erstveröffentlichung kämpfen, wetteifern Courier um die schnellste Verbreitung der Releases. Sie befinden sich in einem digitalem High-Speed-Rennen und versuchen immer der erste zu sein, der ein neues Release auf einen FTP-Server der Szene hochladen kann. Das ständige Hin und Her der Dateien und der Kampf um die meisten Credits wird als racen bezeichnet.
Es gibt sogar eigene Courier Groups, die sich mit anderen messen. Ihre Leistungen werden in Ranglisten festgehalten und in speziellen, per E-Mail erhältlichen Publikationen kommentiert. Nicht selten erinnert der Schreibstil an Artikel in Sportzeitschriften. „Diese Gruppe könnte wirklich nach vorne kommen, jetzt, da Devotion nachlasst. Trotzdem eine eher schwache Woche für sie. Ich erwarte eine deutlich stärkere Leistung von ihnen in den nächsten Wochen“, heißt es zum Beispiel in einer Ausgabe der Courier Weektop Scorecard.
Das logistische Rückgrat der Release-Szene besteht aus ungefähr dreißig besonders leistungsstarken Sites, den sogenannten Topsites. Auf diesen Servern werden nur die neusten Warez deponiert. Die Betreiber von Topsites haben häufig Zugang zu Netzwerken von Institutionen, in denen große Datenaufkommen nicht weiter auffallen. Hier richten sie einen Rechner als Server für die Szene ein. Im Gegenzug für ihr Engagement erhalten sie in der Regel auch Zugang zu weiteren Szeneservern. „Manche Admins an Unis haben spezielle Accounts, damit sie Topsites im eigenen Netzwerk dulden. In einem Fall war der Site Op Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, die auch zu Universitäten Zutritt hatte. Dort soll er seinen Rechner in einem Schrank deponiert haben. Ein anderer betrieb seine Topsite sogar an einer Berliner Universität“, berichtet Szenemitglied Predator.
Ähnlich wie die Release Groups tragen auch die Topsites klangvolle Namen wie „Valhalla“, „Anathema“ oder „Labyrinth“. Und wie bei allen anderen FTP-Servern der Szene, ist der Zugang zu ihnen strikt begrenzt. Außenstehende haben kaum eine Chance, eine Topsite zu Gesicht zu bekommen. Die Betreiber benutzen diverse Verschlüsselungstechniken und Zugangsbeschränkungen, damit Topsites nur von Eingeweihten betreten werden können.
Die Übertragung der Daten findet bei Topsites meist über moderne Lichtwellenkabel statt. Die Übertragungsgeschwindigkeit ist dort 100- bis 1.000mal höher als die eines DSL-Internetanschlusses. Das Kopieren eines neuen Films von einer Topsite zur anderen dauert somit nur Sekunden. Zudem haben Topsites enorme Speicherkapazitäten. Während ein durchschnittlicher Rechner eine Festplatte mit 120 Gigabytes Speicherplatz besitzt, haben Topsites häufig eine Kapazität von über 10 Terabytes, was mehr als 10.000 Gigabytes entspricht.
Die Topsite Unreality, die 2003 von der Polizei stillgelegt wurde, hatte eine Kapazität von elf Terabytes, was je nach Komprimierungsgrad ausreichte, um Zehntausende Filme oder mehrere Millionen MP3-Musiktitel zu speichern. Während die Ermittler die Sicherstellung des „vermutlich weltweit größten ermittelten Piratenservers“ bejubelten, ließ sich die Szene davon wenig beeindrucken. Unreality war bereits damals nur ein Server unter vielen. Einige Jahre danach sind die Kapazitäten der Topsites noch weiter angestiegen.
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