Einer, der es auf äußerst ungewöhnliche Weise schaffte, kostenfrei zu telefonieren, war John T. Draper* alias Cap’n Crunch. Eines Morgens rief ihn ein blinder Junge an, und machte ihn auf eine Cornflakes-Packung namens „Cap’n Crunch“ aufmerksam. In dieser befand sich eine kleine Spielzeugpfeife, mit der man angeblich Töne erzeugen konnte, auf die der Computer der amerikanischen Telefongesellschaft „Ma Bell“ reagierte.

Cap'n Crunch Whistle

Die Spielzeugpfeife aus der Cap’n-Crunch-Verpackung
aus den späten 60er Jahren.

Nach zahlreichen Versuchen fand Cap’n Crunch die spezifischen Frequenzen, mit denen man den Vermittlungscomputer zu einer Unterbrechung der Gebührenübermittlung brachte. Ein Gespräch konnte weitergeführt werden, ohne dass Kosten entstanden. Ein einfacher Gimmick in einer Cornflakes-Packung ermöglichte ihm so die Täuschung eines riesigen Vermittlungscomputers. Damit hatte er nicht nur seinen Namen gefunden, sondern auch das sogenannte Blue Boxing (BB) ins Leben gerufen.

Diese Methode setzte sich vor allem Anfang der 70er Jahre innerhalb von Hackerkreisen in den USA durch. Die Telefongesellschaften hatten zu dieser Zeit mit einer Schar von Telefonbetrügern zu kämpfen gehabt. Das FBI hatte bereits zu dieser Zeit sehr effektive Ermittlungen eingeleitet und die Hauptpersonen, darunter auch John T. Draper, verhaftet. Durch die frühzeitige Änderung der analogen Telefonnetze in digitale, wurde in den USA das Blue Boxing nach einer Weile nicht mehr möglich. Die Geschichte von Cap’n Crunch wird jedoch wie eine Legende in der Scene weitererzählt.

John Draper

John T. Draper alias Cap’n Crunch, der erste Phreaker der Welt

Blue Boxing wurde vor allem in Europa von einzelnen Hackern weiterhin betrieben und sporadisch zur Manipulation von den noch in Europe vorherrschenden analogen Telefonleitungen genutzt. Diese Einzelfälle fielen zunächst jahrelang nicht auf und die Deutsche Bundespost wollte sich nicht um das Problem kümmern. Durch die Entstehung der Scene, blühte Blue Boxing in Europa und in Deutschland erneut auf.

Auch die Scene erkannte bald, dass es möglich ist, über Tonsignale in die Funktionen des Zentralcomputers der Telefonvermittlung einzugreifen und den Gebührenzähler zu stoppen. Um die Signale zur Manipulation des Vermittlungscomputers zu ermitteln, begaben sich dann ab Mitte der 80er Jahre Scener daran, durch endloses Ausprobieren verschiedenster, oft selbstgebastelter Geräte (Dialer), erneut brauchbare Pfeiftöne zu erzeugen.

Dabei hatte die Scene Vorbilder aus der Vergangenheit. So hatte auch Cap’n Crunch in den 70er Jahren bereits die Telefongesellschaft angeschrieben und höflich um die Steuersignale gebeten. Die damals noch völlig unvoreingenommene Telefongesellschaft war so freundlich und hatte dem netten und interessierten Kunden die Liste völlig kostenlos und unverbindlich übersandt. Und so schrieben dann in den 90er Jahren auch Scener die örtlichen Telefongesellschaften an. Es zeigte sich, dass der Trick hierzulande auch funktionierte.

Blue Box

Eine selbstgebastelte Blue Box

Immer mehr Scener wurden mit der Zeit eingeweiht und nutzten diese Technik, auch um privat kostenfrei zu telefonieren. Damit jeder Scener in den Genuss des kostenfreien Telefonierens kommen konnte, wurde eine Liste mit Steuersignalen und den dazugehörigen Programmen zur Erzeugung der Töne bald in den Boards verteilt. Das Blue Boxing hatte nun sein Comeback.

Scener aus aller Welt nutzten ab sofort diese Methode, um kostenfrei zu telefonieren. Das Blue Boxing entwickelte sich zu einer gängigen und für die Scene unverzichtbaren Technik.

Die Telefongesellschaften kamen schließlich auf die Idee, die Steuersignale in unregelmäßigen Abständen zu ändern und geheim zu halten. Als Antwort der Scene wurden jedoch sehr schnell Programme entwickelt, die die aktuellen Signale ausfin-dig machen konnten. Aufgrund der mittlerweile herrschenden Technologien, war das um ein vielfaches einfacher, als vor 20 Jahren. Es ging sogar so weit, dass Geräte mit eigenen Chips hergestellt wurden, die speziell zum Auskundschaften der Signale dienten. Diese Geräte, auch Red und Yellow Boxes genannt, wurden direkt ans Telefon drangehalten. Sobald die Bauanleitungen in der Scene verteilt waren, machten sich die Phreaker auf die Jagd nach den Signalen. Jedesmal, wenn die Telefongesellschaften nun die Signale änderten, durchkämmten Tausende von Phreakern die Telefonleitungen nach akustischen Codes. Das führte zu einer immensen Belastung der Telefonleitungen, wodurch es zu ständigen Ausfällen in den zentralen Vermittlungsstellen kam. Die Programme wurden in der Scene so schnell weiterentwickelt, dass das Auskundschaften der Signale bereits nach kurzer Zeit kein allzu großes Problem mehr darstellte. Nach jeder Steuersignaländerung dauerte es nur wenige Stunden, bis eine neue Liste mit den aktuellen Signalen in den Boards der Scene zu finden war. Daraufhin mussten die Telefongesellschaften einsehen, dass jede technische Blockade nur eine neue Herausforderung für die Scene in Europa darstellte.

Das Problem jetzt bestand darin, dass Phreaker aus dem deutschen Analognetz auch kostenlos nach USA telefonieren konnten. Die amerikanischen Telefongesellschaften übten Druck nach Deutschland aus. Die staatliche Deutsche Bundespost tat ihr Bestes, um das Problem zu lösen. Unermüdlich präsentierten Techniker und Ingenieure Konzepte, die die Hacker zu Fall bringen sollten. Allerdings wusste die Deutsche Bundespost weder über die Existenz einer organisierten Scene, noch hatte sie von der Kultur der Phreaker gehört. Die oft sehr teuren und aufwendigen Gerätschaften, sogenannte „Filter“ und „Sniffer“, die unterscheiden sollten, ob ein fremdes Signal gesendet wurde, hielten die Scene nicht davon ab, weiterhin Blue Boxing zu betreiben.

Erst mit Hilfe der Landespolizei und dem Rat des FBI, gelang es der Bundespost schließlich, die Leitungen der Phreaker doch noch anzuzapfen. Das Zurückverfolgen der Verbindung, in der Scene „Tracing“ genannt, ist eine wirksame Abschreckung gegen Telefonhacking. Durch Fangschaltungen unterschiedlichster Art gelang es der Bundespost schließlich auch, Blue-Box-Aktivitäten auch in Deutschland einzudämmen. Blue Boxing wurde dann auch in Deutschland sehr riskant, und nach einiger Zeit erklärte die Scene diese Methode des kostenfreien Telefonierens für zu gefährlich. Eine neue Methode musste her, und die ließ nicht lange auf sich warten.


3. Der Phreaker

Das Prinzip des kostenfreien Telefonierens
Manipulieren der Telefonleitung: Blue Boxing
Gestohlene Nummern: Calling Cards
Telefonkartenbetrug