Es war im Frühjahr 1997, als wir die ersten Zeilen von Hackerland in die Tastatur eines alten Commodore Amiga tippten. Das Logbuch der Szene sollte ein schonungsloser Insiderbericht über die „Scene“ werden, darin waren wir uns einig. Doch bereits nach kurzer Zeit kamen uns erste Zweifel. Würde uns die Szene dafür verurteilen? Würden wir Freunde und Bekannte dadurch in Gefahr bringen? Würde dem ein oder anderen durch unser Buch vielleicht sogar eine Verhaftung drohen? Wir waren erst Anfang 20, wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommen würde.
Heute, fast 15 Jahre später, gehört Hackerland zur Standartliteratur der digitalen Kulturlandschaft. Es war eines der ersten Bücher, das die Szene an die Öffentlichkeit trug, und ist nach wie vor der einzige Bericht, der die Szene in dieser jungen Phase ihrer Existenz beschreibt. Das öffentliche Interesse an dieser Subkultur war enorm. Hackerland wurde schnell zum Bestseller und gehörte über lange Zeit zu den erfolgreichsten Titeln des Verlags (heute: Klett-Cotta).
Das Internet, so wie wir es heute kennen, gab es damals noch nicht. Der Browser wurde erst vor wenigen Jahren erfunden. Wer das noch nicht sehr weit verbreitete Netzwerk nutzen wollte, musste sich mit Hilfe eines Modems über die normale Telefonleitung einwählen. Obwohl sie schon damals hoch aktiv und weit verbreitet war, gab es kaum Möglichkeiten sich eigenständig über die „Scene“ zu informieren. Kein Wunder also, dass vielen die in „Hackerland“ beschriebene Subkultur wie ein Mythos vorkommen musste.
Erst als die Musik und Filmindustrie öffentlich beklagte, dass ihr durch laufende Aktionen einer geheimen Organisation wirtschaftliche Schäden entstanden seien, rückte die „Scene“ ins allgemeine Interesse. Die Medienindustrie hatte ein neues Feindbild gefunden. Kampagnen wie „Raubkopierer sind Verbrecher“, wurden ins Leben gerufen und präsentierten uns in Kino und Fernsehen eine neue Art der Kriminalität.
Bücher zum Thema wurden veröffentlich, darunter auch wissenschaftliche Arbeiten, die diese unbekannte und sonderbare Subkultur behandelten. Etwa zehn Jahre später erschien auch „NO COPY – Die Welt der digitalen Raubkopie“, das die gegenwärtige Entwicklung der „Scene“ beleuchtete. Das Buch setzte dort an, wo „Hackerland“ abschloss und kritisierte die Aktionen der Industrie scharf. Darüberhinaus lieferte es eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gedanken der digitalen Kopie. „NO COPY“ schloss damit den Kreis um das Thema „Scene“ und Schwarzkopie.
Nach wie vor ist die „Scene“ weltweit aktiv. Zwar versucht sie sich stärker zu verschließen und ist in den letzten Jahren weiter in den Untergrund gerückt, doch ihre Existenz ist heute kein Geheimnis mehr. Einmal in der Welt, bleibt das Interesse für diese nunmehr seit 30 Jahren bestehende Hacker-Subkultur bestehen.
Für die „Scene“ hatte diese Entwicklung schwerwiegende Kon-sequenzen. Waren es vor Jahren noch zivile Ermittler aus örtli-chen Polizeibehörden, die gegen ihre Mitglieder vorgingen, schaltete sich nun das amerikanische FBI in die Ermittlungen ein. Unter dem Decknamen „Operation Buccaneer“ wurden Teile der „Scene“ durch das FBI unterwandert.
Es folgten zahllose Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Der amerikanische Geheimdienst verfasste daraufhin einen Be-richt, in dem die „Scene“ als ein hochgradig, organisiertes Syn-dikat bezeichnet wurde. Die noch immer andauernden Ermitt-lungen der „Operation Buccaneer“, haben in Kooperation mit Interpol mittlerweile weltweit zu unzähligen Verhaftungen ge-führt. Allein in Deutschland mussten sich bis heute mehrere hundert Scener vor dem Gesetz verantworten.
Dennoch wurde die „Scene“ durch die aggressiven Aktionen des FBI nur kurzzeitig geschwächt. Sie wuchs an den Angriffen und hat sich mittlerweile stärker aufgestellt. Noch mit den alten Werten und Grundsätzen ihrer Schöpfer ausgestattet, agiert sie heute bedachter als noch vor 15 Jahren. Die nun heranwachsende Generation von Scenern ist hoch motiviert, jung und versiert. Ihr technologisches Wissen, ihre Fähigkeiten und die damit verbundenen Möglichkeiten sich zu tarnen sind bemerkenswert. Und wie die Mitglieder vorangegangener Generationen, messen auch sie sich weiterhin im sogenannten „Race“, dem Rennen um die schnellste Schwarzkopie.
Auch wenn die Inhalte dieses Buches die gegenwärtige Entwicklung der „Scene“ in ein klärendes Licht stellen können, ist Hackerland ein Bericht über die Anfänge dieser Organisation. Aus diesem Grund, haben wir uns mit der vierten Auflage sogar noch einen weiteren Schritt zurück gewagt. Fakten, Anekdoten und Bilder, von deren Veröffentlichung wir 1997 noch abgesehen hatten, sind dem Bericht nun wieder hinzugefügt worden. Die juristischen Gründe für die Auslassungen sind heute, in vielen Fällen, nicht mehr gegeben. Dadurch ist die vierte Auflage nun authentischer als je zuvor und zur umfassendsten Veröffentli-chung geworden, die uns möglich war.
Hackerland wirft einen Blick zurück und beleuchtet die Szene und ihre Entstehungsgeschichte. Es ist ein Zeitdokument, es den aktuellen Ereignissen anzupassen würde diesem Gedanken zuwiderlaufen. Auch in der vierten Auflage bleibt Hackerland damit eben genau das was es war, „das Logbuch der Szene“.
Denis Moschitto und William Sen
23. April 2011
Vorwort (Original aus der 1. Auflage 1997)
Durch das stetig wachsende Interesse an Computern ist der Begriff „Hacker“ auch für Nicht-Computerbesitzer längst kein Fremdwort mehr. Berichte über Computerfreaks, die sich in Staatsbanken hacken und für die selbst die Supercomputer der Geheimdienste kein Hindernis mehr sind, klingen vertraut. Es gibt ausführliche Reportagen in Zeitung und Fernsehen, und schon des Öfteren haben sich Filmemacher dieses Themas angenommen. Man hört von Fällen, in denen sich Hacker angeblich per Knopfdruck die Bankkonten bequem von zu Hause aus füllen und Telefonate auf Kosten ihrer ahnungslosen Nachbarn führen.
Vieles davon ist tatsächlich geschehen. Im letzten Jahrzehnt gab es kaum eine Grenze, die ein Hacker nicht übertreten hätte. Doch entsprechen Berichte über derartige Vorfälle nicht immer ganz der Wahrheit. Vieles ist Legende oder bewusste Fehlinformation, so dass die eigentliche Welt der Hacker im Verborgenen bleibt.
Kaum jemand weiß etwa, dass es eine im Untergrund agierende und geheime Organisation namens „Scene“ gibt, die sich zu Hackern zählen. Bisher ist nur wenig über diese Organisation an die Öffentlichkeit gedrungen – zu geschickt wurde sie von ihren Mitgliedern getarnt. Hin und wieder melden sich vermeintliche Insider, schreiben Bücher mit Titeln wie „Ein Hacker packt aus“ und verdienen dabei ein kleines Vermögen. Doch war bis heute niemand imstande, ein wahrheitsgetreues Bild dieser Organisation zu zeichnen.
Der Begriff „Szene“ scheint für eine derartige Vereinigung wohl eher ungeeignet, aber über die Jahre hat er sich auch im Kreise ihrer Mitglieder etabliert. Sie selbst nennen sich auch „Scene Members“ oder „Sceners“ und gehören einem Zusammenschluss an, der nicht nur aus Hackern, sondern auch aus Geschäftsleuten und Softwareproduzenten besteht.
Die Scene ist eine hierarchische Organisation. Es existieren Listen, in denen jedes Mitglied mit einem Pseudonym erfasst ist. Die Scene teilt sich in zwei Sektionen auf: die legale und die illegale Sektion. Der illegale Teil der Scene verbreitet Schwarzkopien und betreibt andere illegale Aktivitäten, während sich die legale Scene auf die Produktion von Software spezialisiert hat. Die legale Scene ist der illegalen entsprungen und beide gehören derselben Organisation an. Um jedoch die Grenze zwischen den Mitgliedern der beiden Sektionen zu markieren, haben sich viele Scene Groups in zwei Teile gespalten, obwohl sie denselben Gruppennamen tragen. Die Kooperation zwischen den zwei Teilen bleibt aber weiterhin gewährleistet. Jeder Scener, ob von der legalen oder der illegalen Sektion, wird als volles Mitglied anerkannt.
Wer einmal Mitglied der Scene war, wird ihr nur schwer den Rücken zukehren können, und auch wir wollen es mit diesem Buch nicht tun. Sicherlich werden wir einigen Leuten auf die Füße treten, aber das ist bei einer derartigen Veröffentlichung unvermeidlich. Wirklichen Schaden kann man kaum anrichten, dafür ist die Scene zu gut organisiert.
Zum Schutz vor Außenstehenden wird in der Scene ein sich ständig ändernder Jargon benutzt. Da sprachliches Verstehen eine beiderseitige Übereinkunft voraussetzt, macht es das Scene-Jargon einem Laien völlig unmöglich, Einsicht in ihre Vorgänge zu gewinnen. Zum Teil existieren für verschiedene Begriffe der Scene im normalen Sprachgebrauch keine Pendants, was eine direkte Übersetzung von vornherein ausschließt. Wir haben in unserem Buch versucht, Vorgänge der Scene ohne Fachbegriffe anschaulich zu machen. Hilfe bietet auch ein ausführliches Lexikon mit Redewendungen und szenespezifischen Begriffen im Anhang.
Einige der in diesem Buch enthaltenen Informationen sind noch nie veröffentlicht worden und bedürfen zum Teil weiterer Beweise, die wir nicht erbringen wollen. Mehr, als mit unserem Namen für die Korrektheit der Informationen zu bürgen, können wir nicht. Ein Großteil unserer Informationen beruht auf Geschehnissen und Geheimnissen, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, an denen wir aber aufgrund unserer lang jährigen Mitgliedschaft in der Scene teilhaben konnten.
Denis Moschitto, William Sen
1997