Style Magazin, November 2000

Interview mit den Autoren im Style Magazin

William Sen und Denis Moschitto

William Sen und Denis Moschitto im Style Magazin

Wolltet ihr immer schon „literarisch“ schreiben?

William: Ich habe immer schon für mich selbst literarische Texte verfasst. An eine Veröffentlichung im Rahmen eines Verlags hatte ich damals allerdings nicht gedacht. Als sich die Möglichkeit nach dem Buch „Hackerland“ bot, habe ich diese mit großer Freude wahrgenommen.

Denis: Mir geht es da ähnlich, schreiben war für mich immer ein wichtiges Ventil. Als W. und ich an Hackerland arbeiteten, merkten wir recht schnell, dass wir den Schritt zu Hackertales wagen wollten.

Und wo genau schreibt ihr gerade „journalistisch“?

William: Wenn es darum geht die Authentizität zu wahren, gehen wir journalistisch vor: D. h., recherchieren, Inhalte analysieren, Menschen befragen etc. Wenn man das ganze dann belletristisch zusammfasst, sind die Übergänge von journalistischer und literarischer Arbeit bei Hackertales fließend. Das macht die Geschichten realistisch und damit glaubwürdiger. Nicht nur Computerfreaks können sich dadurch leichter mit den Protagonisten identifizieren.

Wie kann sich der gemeine Autist eure Zusammenarbeit vorstellen? Schreibt ihr JEDE Geschichte zusammen?

William: Das ist unterschiedlich. Zum einen gibt es Geschichten, die einem Einzelnen ganz besonders am Herzen liegen. Dann überarbeiteten wir alles erst zum Abschluss gemeinsam. Natürlich werden solche Geschichten auch schon vorher vom anderen gelesen, leicht ergänzt und verbessert. Die Hauptarbeit in der Entwicklungsphase trägt aber trotzdem je Geschichte nur einer von uns beiden.

Es gibt aber auch Geschichten, an denen wir von Anfang an gemeinsam gearbeitet haben – also von der Entwicklung eines „Storyboards“, bis hin zur Fertigstellung. Wie zum Beispiel die Geschichte „Das Verhör“, wo uns auch ein Oberstaatsanwalt geholfen hat. Wenn grundlegende Dinge, wie zum Beispiel die Entwicklung einzelner Personen, oder der ganzen Geschichte geklärt sind, schreibt einer von uns ganz einfach drauflos. In dieser Phase wird die Geschichte ständig hin- und hergeschickt. Jeder ergänzt und verbessert das Geschriebene des anderen immer und immer wieder. Das führt meistens zu stundenlangen Telefonaten und Diskussionen. Das hat uns viel Anstrengung gekostet, weil man dabei immer kritisch und objektiv bleiben muss. Wenn man Stundenlang an einer Passage gearbeitet hat, und der Meinung ist, sie sei ganz offensichtlich gut gelungen, der andere diese Meinung jedoch nicht teilt, und sogar treffende Argumente vorbringen kann, muss man die Fähigkeit besitzen, die eigenen Interessen unter die der Geschichte zu stellen.

Was macht ihr sonst noch in Duo-Formation?

Denis: Wir versuchen gemeinsam verschiedene Dinge zu unternehmen, ohne dabei an unsere Arbeit zu denken. Sei es, sich einen Film anzuschauen, über Bücher zu diskutieren, oder über alltägliche Dinge zu plaudern. Wir sind in erster Linie immer noch Freunde, und keine Arbeitskollegen, das versuchen wir nicht aus den Augen zu verlieren. Meistens ist es aber dann doch so, dass sich unsere Unterhaltungen schleichend in Diskussionen über neue Ideen und Projekte verwandeln.

Sind Hacker eine Spezie, die – von Verlegern abgesehen – lieber unter sich bleibt? Seid ihr typische Vertreter derselben?

William Sen mit Denis Moschitto

William Sen (links) mit Denis Moschitto

William: Das hänt immer von dem Menschen ab. Ich denke aber, das jeden irgendwann die Realität einholt – man kann sich nicht ewig hinter dem Rechner verstecken. Gerade jetzt, wo der Computer in unserer Zeit eine derart wichtige Position eingenommen hat, ist auch der Hacker keine zwielichtige „Spezies“ mehr. Irgendwann gab´s bei mir beispielsweise den Wunsch, das Wissen weiterzugeben, damit andere Leute auch mal einen Blick hineinwagen können.

Denis: Ich bin offen für alles, und versuche mich mit den unterschiedlichsten Menschen zu umgeben. Ich finde den Gedanken absurd, sich von anderen Leuten abzuschotten, nur weil sie eine andere Vergangenheit haben als man selbst. Sicherlich gibt es immer noch Hacker und Szeneleute, die das nicht so sehen. Da der Computer, wie W. schon sagte, mittlerweile eine völlig neuartige Position in unserer Gesellschaft einnimmt, ist diese Haltung in Zukunft nicht mehr tragbar.

Kickt euch das legale Grenzgebiet oder nervt es?

William: Weder noch. Bei hartgesottenen Computerfreaks ist legal und illegal fließend. Und auch ich wusste früher als Jugendlicher gar nicht, was von dem, was wir taten verantwortungslos war, das war noch Anfang der 80er Jahre. Man war in eine Szene fast hineingeboren – man tat die Dinge, die andere auch tun. Ich habe nie Grenzen überschritten, weil ich sie durchbrechen wollte. Ich tat es, weil es für mich natürlich war. Erst im Erwachsenenalter werden Dinge bewusster.

Denis: Auch für mich gab es noch nie die Motivation, den „Kick“ in der Illegalität zu suchen. Der Nutzen stand immer im Vordergrund. Das man dabei hin und wieder, für meinen Blick recht amorphe Grenzen überschritten hat, war zweitrangig.

Wie kam es zu dem Anstoß, „tales“, also fiktionalisiertes aufschreiben zu wollen?

Denis: Den Anstoß es wirklich zu versuchen, gaben uns eigentlich die Leser von Hackerland. Vielen Leuten sind die kleinen Anekdoten in unserem ersten Buch am besten in Erinnerung geblieben, und man verlangte mehr davon. Wir fanden, dass es eine interessante Erfahrung und Herausforderung sein konnte, fiktionales auf diese Art und Weise mit Faktischem zu mischen.

Wohnt ihr wirklich auch zusammen?

William: Ich finde eine WG schwierig. Ich habe lieber meine Privatsphäre. Ich glaube, dass eine WG mit einem guten Freund nicht wirklich funktionieren kann. Denis und ich würden uns wahrscheinlich gegenseitig in die Haare kriegen. Ich wohne derzeit mit meiner Freundin zusammen und Denis hat auch seine eigene Wohnung.

Denis: Woher kommt dieses Gerücht eigentlich? Ich wohne in einer WG mit einem guten Freund zusammen, den ich menschlich sehr schätze, jedoch sind wir beide aus beruflichen Gründen nur selten zu Hause. Ich glaube das ist auch der Grund dafür, dass ich meinen Mitbewohner nicht schon erwürgt habe.

William Sen, Denis Moschitto

William Sen (links) und Denis Moschitto bei ihrer Lesung

Würdet ihr euch als symbiotisch bezeichnen?

William: Vielleicht. Ich glaube aber, dass wir das nicht gerne so sehen wollen würden.

Denis: Wenn man jedoch ehrlich ist, lässt sich kaum eine bessere Bezeichnung dafür finden. Wie reibungslos die Entwicklung und Arbeit an verschiedenen Dingen mit uns beiden im Team funktioniert verblüfft mich immer wieder. Jeder nutzt und verlässt sich auch die Fähigkeiten des anderen und bringt seine eigenen optimal in die Arbeit mit ein. Besser hätte es bis hierhin nicht laufen können. Wenn W. sagt: „Ich kümmere mich drum“, dann ist die Sache ohne wenn und aber für mich erledigt. Ich bemühe mich, dass W. dies umgekehrt auch so sieht.

Gibt es Autoren, die ihr bewundert, bzw. trotz Klischee nicht besonders toll findet, wie Gibson, Jeff Noon, Lem. Gibt es überhaupt eine literatur-spezifische Hackerszene?

William: Eine Hackerliteratur-Szene gibt es noch nicht. Zumindest bin ich ihr derzeit nicht begegnet. Das ist auch besser so, sonst hätten wir uns unsere Publikationen sparen können. Möglich aber, dass das noch kommt.

Denis: Mein Interesse liegt hauptsächlich in klassischer und moderner Literatur. Sachbücher, und ganz besonders hackerspezifische, lassen mich eher kalt.
Was macht die Musik, irgendwas in Planung? Wie alt ist eigentlich eure Platte „Busted“?

William: Busted war auch nie richtig geplant gewesen. Das hat sich einfach so entwickelt. Dass die Platte so ein Erfolg wurde ist einfach nur Glück gewesen.

Denis: Beim Kölner Label „Firm“ wird in nächster Zeit eine Sampler mit dem Namen „auf Teufel komm raus“ erscheinen. Auf dieser Scheibe wird auch ein Musikstück von mir und einem Freund veröffentlicht werden.

Was ist überhaupt in naher Zukunft geplant? (Musik, Buch, Film, Bar-Eröffnung, Fluglinie gründen). Habt ihr Interesse an Guerilla Aktionen und wie würden die aussehen?

William: Ich habe viele Ideen, die ich sammle. Wenn ich einige davon realisieren kann bin ich aber glücklich: Journalismus wird mir sicherlich lange erhalten bleiben. Aber ich kann mir auch vorstellen Unternehmen in der digitalen Welt zu beraten.

Denis: Meine Ideen rauben mir im Moment das letzte bisschen Schlaf. Ich denke unter anderem an Drehbücher, Romane und Theaterstücke. Was ich davon umsetzen kann, wird sich zeigen. Dann kommen natürlich noch die Ideen hinzu, an denen W. und ich gemeinsam brüten. Das sind dann meistens diejenigen, die in richtige Arbeit ausarten werden.

Wie beurteilen eure Kollegen Hackertales? Wie ist das Feedback im Allgemeinen?

William: Das Feedback ist sehr positiv. Vor dem Interview hat mich ein Freund aus der Szene angerufen, um mir seine Begeisterung über das Buch mitzuteilen. So etwas ist für mich sehr wichtig.

Denis: Ich habe bis jetzt auch noch nichts Negatives gehört, was mich äußerst verwundert. Ich denke, dass das Feedback bei Hackertales, im großen und ganzen auch positiv bleiben wird.

Das Interview führte D. Christochowitz (Culture Editor), style and the family tunes


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